Ulla – Lingerie Féminine

Toni Weidauer
Toni Weidauer, Geschäftsführer der Ulla Miederfabrik © Ulla
Wie sich die Firma Ulla zu dem entwickelte, was sie heute darstellt: eine Premiummarke für Frauen-Unterwäsche in großen Größen

Eine Frage stand am Beginn von „Ulla – lingerie féminine“, der eigentlich keiner war vor 15 Jahren, weil es das Textil-Unternehmen der Familie Weidauer schon über ein halbes Jahrhundert gab. Aber was waren das für Zeiten um die Jahrtausendwende für die Produzenten von Unterwäsche in großen Größen: Der Fachhandel auf Durchschnittsmaße fixiert, der Internethandel kam auf – und „Ulla“? Suchte seine Nische, nach Absatzmöglichkeiten und Sichtbarkeit.

Aus der hohlen Hand

„Was ist unser Markenkern?“. Darauf die alles entscheidende Antwort zu finden, „darum ging es damals“, erinnert sich Toni Weidauer, 44 und Chef des Unternehmens in 3. Generation, an die Tage, als die alte Firmen-Philosophie in den Ruhestand ging – und etwas Neues entstand. Aber unverwechselbar. Ein Sortiment zum einen, das jedes noch so individuelle Bedürfnis nach Komfort und Funktionalität von Plus-Size-Unterwäsche bedienen kann. Die Bandbreite reicht mittlerweile vom nahtlosen T-Shirt-BH über den Sport und Entlastungs-BH bis hin zum absoluten Luxus-Büstenhalter aus edelster Schweizer Stickerei. Vor allem aber rückte der Service in den Fokus der Weidauer: Die Unterstützung für Fachgeschäfte, sich an eine unbekannte Zielgruppe heranzutasten. Eine Marke war geschaffen, die heute für exquisite Qualität bei BHs, Slips, Bodys oder Corsagen steht. Nicht billig, wenn ein Büstenhalter um die 100 Euro kostet. Aber geht es nach Toni Weidauer, dann jeden Cent wert.

Näherei, Ulla Miederfabrik
© Ulla

Eine Gründergeschichte wie aus dem Lehrbuch

Weidauer steht seit 2015 an der Spitze des Unternehmens. So wie Großvater und Großmutter, Vater und Mutter vor ihm. Ein Connaisseur der Unterwäsche-Branche also, verheiratet, zwei Kinder. Er leitet ein Unternehmen mit ca. 60 Mitarbeitern, das im Jahr an die 150.000 Artikel verkauft. An seiner Seite, auf Augenhöhe: Ehefrau Stella. Und vor ihm: Eine Gründergeschichte, wie sie im Lehrbuch des deutschen Wirtschaftswunders steht. Sein Großvater, sagt Weidauer, „kam nach den Kriegswirren des 2. Weltkrieges über einen Freund nach Leinach.“ Dort entstand „aus der hohlen Hand“ eine kleine Produktion von Strickwaren „in einem ungenutzten Tanzsaal eines Wirtshauses“. Eine Lohnnäherei war geboren, die für andere Marken und Hersteller Ideen und Entwürfe zusammennähte.

Wie aber gelang der Sprung zur eigenen Marke? Weidauer holt für seine Antwort aus: „Das Geschäft hat gut funktioniert, bis meine Großmutter an Brustkrebs verstarb.“ Plötzlich fehlte der „kreative Part“. „Mein Großvater und auch mein Vater waren zu der Zeit in der Lage, den Betrieb aufrecht zu erhalten, aber sie waren nicht in der Lage, eine eigene Kollektion zu kreieren. Der Fokus auf einer eigenen Marke war nicht da. Es ging ums nackte Überleben.“

Die Bedrohung hatte damals einen Beinamen: Billiglohnland. Die ersten Unternehmen hatten damit begonnen, sich abzusetzen bzw. ihre Produktionen in den europäischen Osten, die Türkei oder nach Asien auszulagern. Die deutsche Textilindustrie wankte. Anfang der Achtziger Jahre war das, erinnert sich Weidauer Junior. „Das haben meine Eltern damals erkannt.“ Der Entschluss war gefasst: „Wenn wir vor Ort mit der Produktion weitermachen wollen, brauchen wir eine Nische.“

Die füllige Frau – das unbekannte Wesen

Woher die Idee mit den großen Größen entstand, darüber kann der Nachfahre nur noch spekulieren. Er „meint sich zu erinnern“, dass „wir damals für einen Mitbewerber genäht haben, der sich auf große Größen spezialisiert hatte. Somit war die Idee da: Lass uns das auch machen, aber modisch!“

„Ulla – Lingerie Féminine“ erhob sich aus der alten Lohnnäherei als Marke. Aber war sie auch zeitgemäß? Noch ging es dem Fachhandel glänzend. Das Internet? Weitgehend unbekannt sowie Tech-Nerds vorbehalten. Und große Größen? Kaum jemand traute sich heran. Die füllige Frau war das unbekannte Wesen. Weidauer erinnert sich: „Die Fachhändler sagten sich damals: Wieso sollen wir kräftige Frauen bedienen? Wir verkaufen unsere 75B von der Stange. Wunderbar!“

Also kämpften die Weidauers um jeden Kunden. Organisierten Dessous-Partys, auf denen wie bei Tupper-Ware-Feiern die Produkte vor Ort – meist auf dem Land – gleich einer ganzen Gruppe von Frauen feilgeboten und verkauft wurden. Dazu machten die Weidauers auch in Marketing, fertigten Fotos von kurvigen Frauen in ihrer Unterwäsche an, woran sich Toni Weidauer nur mit den Händen vor den Augen erinnern möchte… lachend über die Maßnahmen, die Vater und Mutter ergriffen, um Ulla-Produkte an die Frau zu bringen.
Es brauchte den guten Freund von der Konkurrenz und eine Verschiebung des klassischen Handels ins Internet, um die alten Kunden davon zu überzeugen, dass der Verkauf von modischen und exquisiten Übergroßen eine Zukunft hat. Kleiner wird die Gruppe von beleibten Frauen schließlich nicht, und lange hat sie auf Komfort, Funktionalität und Schick verzichten müssen.

Familie Weidauer vor der Ulla Miederfabrik
Familie Weidauer © Ulla

Verantwortungsvolle Zukunftsstrategie

Ein Vierteljahrhundert nach dieser Fokus-Verschärfung bewegt sich Ulla in der geschrumpften deutschen Textilbranche wie ein kleiner Silberstreif am Horizont. Ideen-Entwicklung und Zuschnitt: Made in Leinach. Auch die Hälfte der Produktion und die Herstellung neuer Produkte findet in Unterfranken statt. 30 Näherinnen arbeiten vor Ort. Der gute Ruf macht’s möglich – und der Service notwendig. Die Qualitätskontrolle übernehmen die Weidauers selbst, zudem tragen sie bei ihrem Probe- und Rückgabeservice anstelle der Abnehmer das Risiko eines vollen Warenlagers. „Um es zu minimieren“, erklärt Toni Weidauer, „halten wir das Lager klein, indem wir auf kleinere Bestellungen ad hoc und schnell reagieren.“ Also nähen sie vor Ort. Das spart Zeit und bewahrt davor, „Überproduktionen in den Müll zu schmeißen“.

Alles andere wird in Slowenien produziert, man kennt und schätzt sich „seit 20 Jahren“. Und in einer „kleinen Näherei in Lettland“, auch diese Zusammenarbeit entstand aus einem „persönlichen Kontakt“ heraus. Eine Produktion „in Fernost“, so Weidauer, „kommt für uns aus ethischen Gründen nicht in Frage. Ich bin der Meinung, dass wir hier als Hersteller auch Verantwortung übernehmen müssen.“

Die nämlich untermauert die Zukunftsstrategie. Der Verfall der Textilqualität, der u.a. das Rote Kreuz unlängst dazu veranlasst hat, seine Kleider-Container auszumustern, bietet die Chance, mit Qualität, Service und Nachhaltigkeit neue Kundinnen zu gewinnen und die gegenwärtigen zu binden. Im Schlepptau entwickelt sich auch das Thema Bio. Die Weidauers müssen nur noch das richtige Material finden. Einfach ist das nicht, schließlich muss es dieselben Talente besitzen wie seine synthetischen Konkurrenten. „Aber wir sind gerade dabei, eine Serie mit Naturstoffen zu entwickeln“, sagt Toni Weidauer. Ulla 3.0 – auch das wird ein Neuanfang.