Einsamkeit – die stille Krankheit

Einsames Mädchen auf der Fensterbank
©istock/fizkes
In den vergangenen Jahrhunderten war sie das Thema von Dichtern und Philosophen. Doch in unserer Zeit scheint sie allgegenwärtig geworden. Einsamkeit sei, so kann man es mittlerweile überall lesen, eine "stille Plage" der modernen Zivilisation.

In Großbritannien hat Premierministerin Theresa May im Januar diesen Jahres eine „Ministerin für Einsamkeit“ ernannt, die der zunehmenden Vereinsamung wachsender Teile der Bevölkerung entgegenwirken soll. Wir von CarlMarie haben uns auf die Spur dieses komplexen Gefühls-Cocktails aus Wut, Angst, Traurigkeit und Scham begeben und sind auf ein paar überraschende Erkenntnisse gestoßen.

Inhaltsverzeichnis

 

Ursachen und Erkenntnisse

Einsame Menschen sind wie du und ich

Auf der Suche nach den Ursachen für Einsamkeit wird heute manchmal angenommen, dass Menschen, die sich einsam fühlen, mindere soziale Fähigkeiten haben und vor allem darunter leiden. Doch das wurde von Wissenschaftlern mittlerweile widerlegt. Männer und Frauen, die unter einem chronischen Gefühl der Einsamkeit leiden, hatten in Tests hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Empathie keine Auffälligkeiten gezeigt. Ganz im Gegenteil: Die Einsamen zeigten zwar nicht auffällig größeres Mitgefühl bei körperlichen Schmerzen ihrer Mitmenschen, dafür hatten sie überdurchschnittlich viel Empathie für soziale Schmerzen wie Mobbing, Isolation, Trauer oder ein Gefühl des Verlassenseins. Ihr eigenes Erleben ausgeschlossen zu sein, schärfte ihre Sinne für die ähnlich gelagerte Not ihrer Mitmenschen.

Jüngere Menschen fühlen sich tatsächlich einsamer als ältere

Wenn man sich heute einen einsamen Menschen vorstellt, dann ist das Klischee oft eine ältere Person, die alleine lebt und kaum jemanden trifft. Doch die Wirklichkeit sieht auch hier ganz anders aus. Lediglich ein Drittel der über 75-Jährigen sagt, dass sie sich oft oder sehr oft einsam fühlen. Deutlich größer ist da der Prozentsatz vor allem bei den 16 bis 24-Jährigen. Über 40 Prozent gaben hier an, unter chronischen Einsamkeitsgefühlen zu leiden. Das kann zum einen daran liegen, dass sich Jugendliche offener zu ihren Einsamkeitsgefühlen bekennen und diese sogar zelebrieren, während Ältere lieber ihre emotionale Unabhängigkeit betonen wollen.

Dagegen spricht allerdings der Fakt, dass die überwiegende Mehrzahl der Erwachsenen rückblickend die Pubertät und Jugend nennt, wenn sie sagen sollen, in welchem Lebensabschnitt sie sich am einsamsten gefühlt hätten. Es scheint also nicht unbedingt das moderne Leben zu sein, welches junge Menschen heute einsamer als früher erscheinen lässt. Vielmehr ist es so, dass Jugendliche genau in diesem Alter die Schule verlassen, von zu Hause weggehen und ihre vertrauten sozialen Kreise verlassen. Sie sind außerdem noch nicht an ein sie begleitendes Gefühl der Einsamkeit gewöhnt und haben keine Strategien dagegen.

Einsamkeit durch Facebook, Twitter, Instagram

Allerdings scheint die intensive Nutzung von Social-Media-Kanälen ein besonders starkes Gefühl der Einsamkeit hervorzurufen. In einer Umfrage der britischen BBC stellte sich heraus, dass Menschen, die sich oft oder sehr oft einsam fühlten, deutlich mehr Facebook-Freunde aufwiesen als diejenigen, die kaum online waren. Das wirft automatisch die Frage auf, ob die aktuelle Jugendeinsamkeit das Produkt des Stresses modernen Lebens ist oder ob mit zunehmendem Alter unsere Fähigkeit, mit komplizierten Emotionen umzugehen, wächst.

Fakt ist: Damit sich Jugendliche heute verbinden können, werden intensiv und in manchen Teilen ausschließlich soziale Medien genutzt. Junge Menschen sind damit heute umfassender vernetzt als jede Generation vor ihnen. Aber das bringt eben auch eigene Probleme mit sich. Wenn man sich einsam fühlt, wird das Betrachten von Bildern anderer Leute, die scheinbar endlos Spaß haben, nicht gerade zu einer Verbesserung der eigenen emotionalen Situation führen. Dazu kommt, dass jüngere Menschen Einsamkeit zum ersten Mal in ihrem Leben erfahren und noch nicht wissen, dass diese in den meisten Fällen nicht ewig andauert.

 

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Fast die Hälfte aller Menschen geht davon aus, dass Einsamkeit positiv sein kann

Einsamkeit ist nicht nur ein Übel, sondern wird von über 40 Prozent aller Menschen auch als Chance begriffen. Mit der Isolation geht ein Prozess der Reinigung einher, bei der vor allem auch die bisherigen sozialen Beziehungen auf den Prüfstand kommen. Allerdings sinkt der Prozentsatz der Einsamkeits-Optimisten bei denjenigen, die tatsächlich unter Einsamkeit leiden. Für diese Menschen entfaltet diese „Krankheit“ ihr gesamtes zerstörerisches Potential. Denn anhaltende Einsamkeit führt letztlich in die Depression und schädigt auch nachweislich die Gesundheit. Einsamkeit kann so elend und bedrückend sein, dass es, wenn sie lange anhält, schwer ist, eine positive Seite darin zu entdecken.

Der Winter ist nicht einsamer als jede andere Jahreszeit auch

Im Winter ist es schnell dunkel, da sieht man kaum noch einen Menschen auf der Straße und wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben. Außerdem kommt die emotional hoch besetzte Weihnachtszeit, in der Einsamkeit und soziale Isolation noch stärker wahrgenommen würden als in den übrigen Monaten des Jahres. Soweit die gängigen Klischees. Doch auch hier zeigt die Realität ein deutlich anderes Gesicht. Mehr als zwei Drittel aller Männer und Frauen finden den Winter nicht einsamer als die übrigen Jahreszeiten. Vielmehr kennen Spezialisten für Gemütskrankheiten ein ganz anderes Phänomen. Während zur Weihnachtszeit sich fast jeder darum bemüht, irgendwie in Gesellschaft zu sein und Einsamkeit vorzubeugen, kann es im Sommer zu einem ganz anderen Gefühl der Isolation kommen: Dann nämlich scheinen alle Spaß zu haben, exotische Urlaubsreisen zu unternehmen und allgemein die beste Zeit ihres Lebens zu haben. Man selbst bleibt da schnell mit einem starken Gefühl der Einsamkeit zurück.

7 Arten der Einsamkeit

Einsamkeit ist keine einzelne Emotion, sondern vielmehr ein komplexes Gefühl, welches sich aus ganz unterschiedlichen Quellen speisen kann. Wir von CarlMarie haben sieben unterschiedliche Typen der Einsamkeit identifiziert. Vielleicht findest Du dich ja in einem wieder:

1. Neu in der Stadt

Du bist einsam, weil … du in eine neue Stadt gezogen bist, in der du niemanden kennst, oder du hast einen neuen Job angefangen oder du bist in einer Schule von lauter unbekannten Gesichtern umgeben.

2. Ich fühl mich so anders, als die anderen

Du bist einsam, weil … dir zwar der Ort vertraut ist, du dich aber wie ein Alien unter all den anderen fühlst. Vielleicht hörst du andere Musik oder liest andere Bücher oder verabscheust die so geliebten Outdoor-Aktivitäten der anderen. Es ist einfach wirklich schwer, so zu tun, als wären einem dieselben Dinge wichtig wie der Mehrheit um dich herum.

3. Wer liebt mich?

Du bist einsam, weil … du keinen richtigen Schatz hast, den du innig liebst. Oder du wirst nicht wirklich aufrichtig geliebt. Oder noch schlimmer: Du lebst in einer Partnerschaft, fühlst aber keine tiefe Liebe darin.

4. Hunde- und Katzenliebe

Du bist einsam, weil … der geliebte Hund oder die geliebte Katze nicht mehr da ist. Viele Menschen haben ein großes Bedürfnis, sich mit Tieren zu umgeben. Das ist ihnen oftmals sogar wichtiger, als der Kontakt zu anderen Menschen. Diese Menschen haben das starke Gefühl, dass ihnen etwas fehlt, wenn sie keinen Hund oder keine Katze in ihrem Leben haben.

5. Freunde haben keine Zeit mehr

Du bist einsam, weil … der beste Freund oder die beste Freundin geheiratet hat, oder Vater oder Mutter geworden ist. Bisher hast du alles mit ihm oder ihr geteilt und nun gibt es gar nichts mehr, was ihr gemeinsam unternehmen könnt. Das kann eine der härtesten Erfahrungen des Lebens sein.

6. Falsche Freunde

Du bist einsam, weil … du deinen besten Freunden nicht mehr vertrauen kannst. Manchmal gerätst du in eine Situation, in der du zu zweifeln beginnst, ob deine Freunde wirklich freundlich und hilfsbereit sind. Du bist zwar mit Leuten „befreundet“, traust ihnen aber nicht. Ein wichtiges Element der Freundschaft ist, vertrauen zu können. Wenn das fehlt, fühlst du dich vielleicht einsam, selbst wenn du oberflächlich gesehen Spaß mit deinen Freunden hast.

7. Die vertraute Wohnzimmeridylle

Du bist einsam, weil … du die angenehme und stressfreie Anwesenheit eines Anderen nicht mehr genießen kannst. Freunde gibt es natürlich auch bei der Arbeit, im Sportverein oder im Book Club. Doch nichts ersetzt die eine Person, an deren Anwesenheit man sich gewöhnt hat. Das kann ein Mitbewohner oder ein Familienmitglied sein, der im Nachbarzimmer vielleicht nur auf dem Sofa liest oder sich in der Küche einen Kaffee macht. Der Verzicht auf diese wortlos geteilte Wohnzimmer-Idylle kann ein starkes Gefühl der Einsamkeit nach sich ziehen.

Im zweiten Teil unseres Beitrags zeigen wir Euch 7 Wege zur Bekämpfung von Einsamkeit.