Die größten Mode-Designer: Yves Saint Laurent – Das zerbrechliche Genie erhebt die Mode zur Kunst

Yves Saint Laurent Geschäft
©istock/tupungato
Wenn man das Schaffen des Franzosen Yves Saint Laurent in einem Satz zusammenfassen will, dann müsste man sagen: Er war maßgeblich dafür verantwortlich, wie sich moderne Frauen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kleideten. Während seiner Karriere zwischen 1957 und 2002 brachte er erst den Pariser Beatnik-Style auf den Laufsteg, kreierte den Trapez-Stil, der später die breiten Frauenschultern modern machte, wagte sich als erster an durchsichtige Blusen und schaffte es sogar, bäuerlich inspirierte Kleider zur Haute Couture zu transformieren.

Er suchte das zerbrechliche Wesen mit der für ihn so typischen dick umrandeten Brille gern auf der Straße oder in Hafenkneipen. Doch seine Kleider wurden von Stil-Ikonen wie Catherine Deneuve, Paloma Picasso, Lauren Bacall oder Marie-Hélène de Rothschild getragen. „Wenn Coco Chanel den Frauen Freiheit gegeben hat“, so Saint Laurents langjähriger Partner Pierre Bergé „so hat ihnen Yves Macht verliehen“. Er selbst sagte gern über seine Mission: „Nichts kleidet die Frauen besser als die Arme des Mannes, der sie liebt. Für alle die nicht dieses Glück haben, bin ich da.“

Als Yves Saint Laurent 2010 mit 71 Jahren starb, da trat mit ihm einer der wohl einflussreichsten und bekanntesten Mode-Designer aller Zeiten vom großen Laufsteg des Modezirkus ab. Der Franzose war zu diesem Zeitpunkt schon lange krank und deshalb erinnerte man sich natürlich sofort an 2002, als Saint Laurent seinen Abschied von der Modeszene verkündet hatte. In seinem Modehaus in der Avenue Marceau 5 hatte er die einzige große Pressekonferenz seiner Karriere gegeben und dabei sowohl Freunde als auch Mode-Journalisten zu Tränen gerührt. In seiner so unnachahmlichen Schüchternheit kamen mühsam formuliert ein paar Rückansichten auf ein prallvolles Leben zum Vorschein. Die schönsten Paradiese seien jene, die man verloren hat und das so wie jeder Mann auch er ein paar ästhetische Illusionen brauche, um zu existieren. „Ich habe die Angst und den Schrecken der Einsamkeit gekannt“, so YSL. „Ich habe diese Schönwetterfreunde gekannt, die wir Beruhigungsmittel und Drogen nennen. Ich kenne das Gefängnis der Depression und die Haft des Krankenhauses. Aber eines Tages habe ich es geschafft, das alles hinter mir zu lassen. Und heute sitze ich vor Ihnen, geblendet und doch nüchtern.“

Träume von den Champs-Élysées

Yves Saint Laurent war als Kind sehr wohlhabender französischer Eltern in der damals noch zu Frankreich gehörenden Kolonie Algerien, in der Stadt Oran geboren worden und aufgewachsen. Seine Kindheit war solange glücklich wie sie von der Familie beschützt war. Ähnlich wie sein lebenslanger Konkurrent Karl Lagerfeld flüchtete er sich früh in Fantasien – auch in die der eigenen Größe und Bedeutsamkeit. Sein Name würde dereinst über den Champs-Élysées strahlen und überhaupt sei das Y in seinem Namen doch ein auf den Kopf gestellter Eiffelturm. Das Namenskürzel YSL wurde dann später tatsächlich so berühmt, wie eine Modemarke im 20. Jahrhundert nur werden konnte. Mit 14 soll der heranwachsende Yves bereits erste Kleider für Puppen entworfen und seiner Schwester dafür Rechnungen ausgestellt haben. Da war er allerdings in der Schule schon als Außenseiter gebrandmarkt. Im Oran der 1950er Jahre wurden Auffälligkeiten bestraft. „Sie schlugen mich und sperrten mich auf dem Klo ein“, erinnerte sich YSL später an seine Schulkameraden.

 

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Erster Preis des „Wollsekretariats“ in der Kategorie „Cocktailkleid“

1954 nahm der erst 18 Jahre alte Franzose aus Algerien am jährlichen Wettbewerb des renommierten „Wollsekretariats“ teil und gewann auf Anhieb mit seinem Entwurf in der Kategorie „Cocktailkleid“. Ein junger Deutscher namens Karl Lagerfeld gewann ebenfalls mit einem kanariengelben Mantel. Für beide war das der Auftakt zu einer großen Karriere, in der sie sich auch aus Eifersucht um einen gemeinsamen Liebhaber (Jacques de Bascher) oftmals als unversöhnliche Konkurrenten begegnen sollten. Der Preis des „Wollsekretariats“ ließ Christian Dior, den damals einflussreichsten Modedesigner der Welt, auf den jungen Landsmann aufmerksam werden. Er bekam die Anstellung, wurde erster Assistent des Meisters und als der 1957 starb, fiel ihm – getreu der Verfügung des Chefs – die künstlerische Leitung des berühmten Hauses zu. Auf der Beerdigung Diors machte Saint Laurent außerdem eine wichtige Bekanntschaft. Pierre Bergé war deutlich älter und der Freund des bekannten Malers Bernard Buffet. Bergé wurde Förderer, Liebhaber und lebenslanger Geschäftspartner Yves Saint Laurents.

Berühmt durch Dior

„Yves‘ Genie war so offensichtlich, dass es unmöglich war, keinen Erfolg zu haben“, sagte Pierre Bergé. Und tatsächlich erlangte er 1958 im Alter von 21 Jahren sofort Berühmtheit, als er seine Trapez-Kollektion, die erste für Christian Dior nach dem Tod des Meisters, zeigte. Schon zwei Jahre später präsentierte er seine bereits letzte Kollektion für Dior: Die mit dem von der Straße und den Pariser Cafes inspirierten „Beatnik-Look“ aus schwarzen, gestrickten Rollkragenpullovern und Lederjacken bestand. Die Begeisterung darüber hielt sich allerdings in Grenzen, obwohl genau dieser Stil schließlich zur Uniform der Avantgarde in Europa und den USA wurde.

Depressionen und Drogenabhängigkeit – Folgen des Wehrdienstes

1960 kämpfte die französische Armee gegen Befreiungsbewegungen in Algerien. Und auch Yves Saint Laurent wurde nun zur Ableistung seiner Wehrpflicht eingezogen. Zuvor war er immer wieder zurückgestellt worden, weil einfach schon mehr als 2.000 Jobs von seinem Talent abhingen. Doch 1960 befand sich Frankreich im Krieg und YSL sollte seine 27 Monate Wehrdienst ableisten. Allerdings dauerte das Soldatenleben in der für Saint Laurent verhassten Männerwelt nur kurz. Der sensible junge Mann litt schnell an schweren Depressionen und Angstzuständen und wurde deshalb in ein Hospital gebracht, aus dem er mehr oder weniger abhängig von diversen Drogen wieder entlassen wurde. Drogen und Ängste verließen den feinfühligen Künstler von da an bis an sein Lebensende nicht mehr. Aufgrund des erlittenen Nervenzusammenbruchs gab der Fashion-Star die künstlerische Leitung bei Christian Dior an seinen ehemaligen Assistenten Marc Bohan ab. Natürlich mit der Hoffnung versehen, schon bald zurückkehren zu können. Doch im Januar 1961 war Marc Bohans erste Kollektion für Dior ein großer Erfolg und das Modehaus weigerte sich, den alten Chef so wie verabredet nach der Entlassung aus der Armee wieder einzustellen. Saint Laurent verklagte Dior daraufhin auf Schadensersatz, und bekam zwar nicht den alten Posten zurück, dafür aber eine Abfindung in Höhe von 150.000 Dollar.

Mit 25 Jahren gründet YSL das eigene Modehaus

Ab da an nahm Saint Laurents Lebenspartner Pierre Bergé die Zügel der Karriere seines jungen Schützlings in die Hand. Er verkaufte seine Pariser Wohnung und auch einige seiner Buffet-Gemälde. Der amerikanische Geschäftsmann J. Mack Robinson investierte sogar einige hunderttausend Dollar, um die Gründung des eigenen Modehauses möglich zu machen. Und nun ging es rasant bergauf. Der Franzose spürte, was die Frauen wollten und ließ sich von jenen inspirieren, deren Freundschaft er gewann. Paloma Picasso zum Beispiel. Oder die Schauspielerin Catherine Deneuve, die seine lebenslange Muse werden sollte und die er für den berühmt-berüchtigten Film „Belle de Jour“ von Luis Bunuel 1967 komplett einkleidete. Die erste eigene Yves Saint Laurent-Kollektion wurde am 19. Januar 1962 gezeigt. Es war der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Danach wurden seine Kollektionen jedes Jahr mit Spannung erwartet, denn sein Wort galt vor allem in den 1960er und 1970er Jahren als das gewichtigste unter den Modefürsten.

„Ich bin überzeugt, dass Frauen Hosen tragen wollen“

 

 

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Zu Yves Saint Laurents größten Erfolgen in dieser Zeit gehörten die Kollektionen „Mondrian“ von 1965 und „Reiche Bauern“ von 1976. „Die Kleidung enthielt alle meine Träume“, sagte er nach der Show „alle meine Heldinnen in den Romanen, den Opern, den Gemälden. Es ist mein Herz – also alles, was ich liebe – was ich in diese Kollektion gegeben habe.“ Welchen Ruf er nun aber mehr und mehr gerecht wurde, war der, dass keiner wie er die Frauen liebte, weil er keine von ihnen begehrte.
So wurde 1968 sein Vorschlag, dass Frauen Hosen als Alltagsuniform tragen sollten, als revolutionär angesehen. YSL war der Meinung, dass eine Frau Hose, einen Pullover und einen Regenmantel tragen sollte. Und so war Yves Saint Laurent in seiner Karriere von 1957 bis 2002 maßgeblich dafür verantwortlich, auf welche Art und Weise sich moderne Frauen bis heute kleiden.

Schon 1983 ein Klassiker mit eigener Retrospektive

1983 war Yves Saint Laurent, der schüchterne wie auch ein bisschen größenwahnsinnige Modedesigner aus Paris, erst 47 Jahre alt. Und trotzdem wurde seine Arbeit von Modewissenschaftlern bereits als so grundlegend für die Frauenkleidung anerkannt, dass er seine eigene Retrospektive bekam. Im New Yorker Kostüminstitut des Metropolitan Museum of Art wurden zahlreiche Entwürfe mit dem Logo YSL ausgestellt und Diana Vreeland, die legendäre Herausgeberin der Zeitschrift des Costume Institute, die die Ausstellung kuratierte, nannte ihn „ein lebendes Genie“ und „den Rattenfänger der Mode“. „Was auch immer er tut“, sagte sie voller Bewunderung, „Frauen jeden Alters auf der ganzen Welt folgen ihm.“ Allerdings war die New Yorker Ausstellung, die danach auch noch nach Peking, Sankt Petersburg und Sydney weiterwanderte, der Beginn eines eher konservativen Spätwerkes. Der blutjunge Wonderboy, der sich 1971 von Jeanloup Sieff nackt für die Werbung seines ersten Parfum hatte ablichten lassen und damit – wohl kalkuliert – einen Skandal auslöste, mutierte nun mehr und mehr zum Elder Statesman, der unter anderem sagte: „Die Garderobe einer Frau sollte nicht alle sechs Monate gewechselt werden. Die Damen sollten vielmehr in der Lage sein, die Teile, die Sie bereits besitzen neu zu arrangieren. Einfach weil sie wie zeitlose Klassiker sind.“

Modezar ohne großes Gefolge

Klassiker waren zu diesem Zeitpunkt bereits mehrere Parfüme von YSL, obwohl auch diese es stets geschafft hatten, Kontroversen auszulösen. So nannte er einen seiner Frauendüfte „Opium“, was zu Vorwürfen führte, er verherrliche den Drogenkonsum und trivialisiere außerdem die Opiumkriege des 19. Jahrhunderts in China. Umso aufreizender wirkte der Werbeslogan: „Opium ist für alle, die von Yves Saint Laurent abhängig sind.“ 1992 führten seine Pläne, ein weiteres Parfüm „Champagner“ zu nennen, zu einer Klage der französischen Winzer, die die Firma Saint Laurent verlor. 1992, also zehn Jahre vor seinem vorzeitigen Rückzug aus der Modewelt, feierte Yves Saint Laurent das 30-jährige Jubiläum seines Modehauses in der Pariser Oper am Place de la Bastille. Knapp 3.000 Bewunderer sahen über 100 Models, die YSL-Mode aus drei Jahrzehnten präsentierten. Die einflussreiche Mode-Journalistin Bernardine Morris von der New York Times schrieb über das Ereignis: „Was an diesen Kleidern neben ihrer atemberaubenden Schönheit das Beste war, dass einfach kein einziges Stück altmodisch schien.“

Dennoch: Yves Saint Laurent war nicht mehr der Modezar, dem alle folgten, sondern mehr eine Institution, die sich mit der Einrichtung seiner Häuser zu beschäftigen schien. Und in denen lebte der Franzose – seinem Erfolg angemessen – überaus elegant. Alle seine Häuser, die er mit einer Reihe französischer Bulldoggen teilte, wurden von seinen Lieblingskünstlern, darunter Picasso, Cocteau, Braque und Christian Bérard, aufwendig dekoriert und mit Antiquitäten und Kunstwerken gefüllt. Eines seiner Lieblingshäuser stand in Marrakesch in Marokko und erinnerte seinen Besitzer nicht nur an die glücklichen Tage seiner Kindheit in Algerien sondern auch an ausschweifende Jet-Set-Parties, die ebenso wie seine Mode zum bis heute legendären Ruf von Yves Saint Laurent als eine der schillerndsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts beitragen.